von Clint Eastwood, mit Angelina Jolie und John Malkovich.
Einen Streit nie anfangen, aber immer zu Ende bringen – dieses Motto legt Christine Collins ihrem kleinen Sohn Walter immer wieder nahe. Nun ist Walter verschwunden, Christine ist verzweifelt und die Polizei von Los Angeles, Ende der 20er Jahre von Korruption und Gewalt zerfressen und nicht eben auf dem Gipfel der Popularität, steht unter Druck ihn schnellstens wiederzufinden. Als ihr das schließlich gelingt, staunt sie nicht schlecht. Denn der Junge, der ihr geliefert wird, sieht nicht nur anders aus als Walter, sondern ist auch kleiner und beschnitten. Kurz und gut, der Verdacht liegt nahe, dass ihr von der Polizei ein fremder Sohn untergeschoben werden soll. Doch die, allen voran Captain Jones, glaubt das besser beurteilen zu können, und versucht sie mit Gutachtern, Zeitungsartikeln und anderen schmutzigen Tricks zu diskreditieren. Mit der Hilfe des polizeikritischen Radio-Reverends Briegleb leistet sie aber so lange energischen Widerstand – getreu ihres Mottos, eine Streit auch zu Ende zu bringen. Da das Jones ganz und gar nicht passt, lässt er sie kurzerhand in eine psychiatrische Anstalt einliefern. Doch die Ereignisse kommen erst richtig ins Rollen, als die sterblichen Überreste von 20 Jungen entdeckt werden – alle Opfer eine Serienmörders…
Gut, könnte man meinen, hier hat Eastwood mal wieder ganz tief in die Klischeekiste gegriffen, um pünktlich zum Oscar mal wieder für lau einen netten Abend verbringen zu können. Doch weit gefehlt – die Geschichte ist wahr, und wurde anhand von Gerichts- und anderen Protokollen akribisch rekonstruiert, die Dialoge entstammen größtenteils wörtlich den Gerichtsakten von damals; lediglich für die Szenen in der Anstalt musst mangels Vorlagen die Phantasie etwas nachhelfen. Autor J. Michael Straczynski (Babylon 5) wurde zufällig auf alte, zur Vernichtung vorgesehene Akten in Zusammenhang mit den Wineville-Chicken-Murders aufmerksam gemacht und fing Feuer. Ein Jahr lang recherchierte er sorgfältig den Fall, bevor er dann den ersten Drehbuchentwurf innerhalb von nur elf Tagen zu Papier brachte. Clint Eastwood las das Drehbuch, und sagt noch am selben Tag zu.
Na, das sind ja schonmal beste Vorraussetzungen für gelungene Gänsehautunterhaltung. Und in der Tat, trotz der Ablenkung durch Angelina Jolies knallrot geschminkten Schnollmund funktioniert der Film hervorragend – es ist wirklich unglaublich, wie hartnäckig und hinterhältig die Polizei versucht, einer Mutter einen fremden Sohn unterzujubeln. Genau wie Christine Collins ist man sprachlos gegenüber der unverschämten, haltlosen Vorgehen von Jones, von seiner Arroganz, von seiner Anmaßung, von seiner Verdrehung elemtarster Tatsachen, nur um sein eigenes Versagen nicht anerkennen zu müssen. Noch erschreckender ist, dass seine überzeichneter Charakter durchaus glaubwürdig ist. Er ist kein Lügner, er glaubt seine Lügen mittlerweile selbst und verteidigt sie mit allen Mitteln.
Womit wir auch schon Zeitbezug wären. Denn kaum ist Obama im Amt, scheint Hollywood aus seinem Dornröschenschlaf zu erwachen und das Bush-Trauma zu verarbeiten. Denn was die Bush-Regierung für die USA der Neuzeit war, war das LAPD für Los Angeles anfang der dreißiger Jahre. Stichworte seien hier ein lauer Umgang mit Wahrheit, Macht, Gerechtigkeit und Menschenrechten. Und so wie Obama jetzt (hoffentlich) mit dem alten System aufräumt, ist es hier Angelina Jolie zusammen mit John Malkovich, die für Gerechtigkeit und Wahrheit einstehen und ein ganzes System zu Fall bringen. Man muss zugeben – ohne den Realitätsbezug wäre diese Story zuckersüßer Kitsch, aber mit ist sie wirklich erschütternd. Erschütternd ist auch der Fall des Kinder-Serienmörders Gordon Stewart Northcott, der tatsächlich über zwanzig Jungen entführte, einsperrte, mißbrauchte und auf grausamste Weise umbrachte. Allein der Gedanke, dass dies nicht der kranken Phantasie eines SAW-Autors entsprungen ist, sondern auch das tatsächlich passiert ist, lässt einen das Blut in den Adern gefrieren.
All das gestaltet Clint Eastwood fast perfekt zu einem runden, fesselnden Stück Film. Allerdings schafft er es diesmal nicht, zum Ende hin den Absprung zu schaffen, sondern zieht den Film mit einem überlnagen Epilog noch zu sehr in die Länge – schade. Das ist (neben der für meine Geschmack unpassenden Besetzung durch Angelina Jolie) auch das einzige Manko des Films, der ansonsten ein typischer, routiniert erzählter Eastwood ist, und somit ein Garant für (fast) perfekte Unterhaltung. Und das mit 79 Jahren. Respekt. (9/10)
Hey …
Der Artikel ist gut.
Allerdings teile ich nicht die Meinung des Autors, dass Angelina fehlbesetzt ist. Sie mag vielleicht als Sexiest Woman of the World und als perfekter Männertraum gelten, aber man sollte bei so einem Artikel objektiv bleiben und die Fähigkeiten und das Talent, das Angelina als MENSCH besitzt, nicht total vergessen. Sie engagiert sich über alle Maßen hinaus nicht nur für ihre eigenen Kinder. Welche Frau, Mutter kann das schon von sich behaupten? Deswegen ist sie, nicht allein wegen ihrer unsagbaren Ausstrahlung, mehr als geeignet für diese Rolle. Sie lebt sie und daran läßt sie keinen Zweifel aufkommen.
Vielleicht sollte man bei so einem Artikel weniger mit dem Teil in der Gegend unterhalb der Gürtellinie denken?
Der lange Epilog zum Ende hin, muss sein, denn ohne ihn würde man bei einem Ende wie diesem, ein mieses Gefühl im Bauch behalten.
In diesem Sinne bin ich aber auch für 9/10 ausgezeichneten Punkten 🙂
~smen~
Hi Smen,
erstmal Danke für das Lob und den Kommentar – meine erster, echter Kommentar!
Ich möchte anmerken, dass ich Angelina Jolie nicht als Mensch diskreditieren wollte. Für mich ist sie nicht der perfekte Männertraum, und mein Kommentar kommt daher auch nicht von unter der Gürtellinie. Ich finde sie gerade deshalb fehlbesetzt, WEIL sie Sexiest Woman Alive ist. Ich denke, eine unauffälligere Besetzung, wie die anfänglich vorgesehen Hilary Swank, wären der Rolle gerechter geworden. Schließlich muss eine Mutter nicht ausserordentlich gut aussehen oder eine besondere Ausstrahlung haben, um um ihre Kinder zu kämpfen.
Und es sei mir auch erlaubt anzumerken, dass Angelina Jolie bisher nicht gerade mit Charakterrollen geglänzt hat („Beowulf“, „Sky Captain and the World of Tomorrow“ und „Tomb Raider“ sind dafür einfach nicht die Filme), sich dafür aber in diesem Film sehr gut schlägt. Einen Oscar halte ich aber für übertrieben.
Grüße, chrjue
hi chrjue
nun ja … ich hab getan was ich kann 😉
Du magst Recht haben, dass sie bisher in keiner außerordentlichen Charakterrolle besetzt war. Es war tolles Unterhaltungsfernsehen 🙂
Dennoch verändern sich Menschen und ich denk, das war ein Schritt in die richtige Richtung. Ich würde mich jetzt ungern entscheiden müssen, ob nicht doch Hilary die bessere Besetzung gewesen wäre? Ich mag beide Schauspielerinnen sehr und beide sind unglaublich attraktiv. Und ich glaube, Hilary hätte es auch nicht überzeugender spielen können. Ja, sie hatte schon so einige wirklich gute Charakterrollen, wenn ich an Million Dollar Baby oder Freedom Writers denke, wobei das auch nur 2 tolle Filme sind. Wie dem auch sei, jeder fängt vielleicht einmal damit an, etwas bedeutenderes in seinem Leben zu tun. Angelina hat damit mit diesem Film vielleicht einen Anfang gemacht 🙂
Die Sache mit dem Oscar interessiert mich nicht wirklich, denn für mich ist es eher eine subjektive Auszeichnung einer Leistung. Am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er den Film gut oder schlecht fand.
Danke für die Antwort 🙂
~smen~