Morgen wird in Berlin eine Mahnwache gegen Internetsperren stattfinden, wie die heise-online berichtet. Anlass ist eine Pressekonferenz von Ursula von der Leyen. In ihr will sie die „freiwillige“ Selbstverpflichtung einiger Provider bekanntgeben, künftig anhand einer (dann geheimen) Sperrliste des BKA den Zugang zu kinderpornographischen Internetseiten zu sperren.
In ihrer letzten Ausgabe hat sich die c’t sehr ausführlich und sachlich dieser Thematik angenommen, und sowohl die Sperren wie auch die Argumentation von der Leyens auseinandergenommen.
Hauptkritikpunkte sind:
- Der Handel mit kinderpornographischen Inhalten findet nicht im Internet statt, er wird höchstens über das Internet angestoßen. Die Verteilung erfolgt klassisch, z.B. per Post. Die Internetsperren setzen daher an der falschen Stelle an. Die von der Ministerin zitiertem Statistiken wurden anscheinend falsch interpretiert.
- Die Sperren lassen sich sehr leicht umgehen, da die Sperre per Domain Name Server (DNS) erfolgt – in den Interneteinstellungen einfach einen anderen eintragen, und schon gibt’s wieder Zugriff.
- Statt den Zugang zu den Seiten zu sperren, ist es wirksamer und einfacher, die Internetseiten selber vom Netz zu nehmen. Das geht in der Regel durch eine simple Meldung an den Provider – so konnten Seiten, die seit Jahren auf dänischen Sperrlisten herumdümpelten, durch simple Nachfrage der Kinderschutzorganisation CareChild beim Provider binnen Stunden gelöscht werden. Warum nicht gleich so? Warum nur sperren statt löschen?
- Im jetzigen Gesetzentwurf ist nicht vorgesehen, den Inhalt der geheimen (!) Sperrlisten regelmäßig zu überprüfen, oder Sperrungen durch einen Richter prüfen zu lassen – wer einmal auf dieser Liste landet, erfährt es nicht und hat keine Möglichkeit, dort wieder runterzukommen – selbst bei Irrtümern. Wo ist da die demokratische Kontrolle?
- Vor allem aber ist nicht sicher, ob solche Sperren, sobald etabliert, nicht ausgweitet werden. Erst Kinderpornographie, später Downloadseiten, noch später unliebsame Meinungen – der Zensur im Internet ist damit Tor und Tür geöffnet.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Kinderpornographie ist eine abscheuliches Verbrechen, das ich widerwärtig finde und das unbedingt und deutlich intensiver als bisher bekämpft werden sollte. Aber bitte mit geeigneten Maßnahmen, an erster Stelle durch (teure) Aufstockung der Personaldecke der Polizei und bessere Ausstattung derselben. Sie als Totschlagargument für die Etablierung technisch wirkungsloser, dafür aber drastisch in die Grundrechte einscheidender und wohl vor allem billiger Maßnahmen zu mißbrauchen, ist wohl schon ein Vorbeben des bevorstehenden Wahlkampfes, schäbig und hilft den Opfern nicht weiter. (Eine Organsiation von Mißbrauchsopfern stellte das in der Zeit noch wesentlich deutlicher als zweiten Mißbrauch dar).
Der Chaos Computer Club, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und andere werden daher morgen besagte Mahnwache gegen „Zensursula“ und die „Internetausdrucker“ veranstalten. Meine Unterstützung haben sie.
[Nachtrag:] Auch der Spiegel schließt sich in diesem Beitrag ungewöhnlich informiert der Kritik an.
[Noch ein Nachtrag:] Unbeeindruckt von guten Argumenten hat die Regierung nach dem Motto „Augen zu und durch“ jetzt auch einen Gesetzesentwurf zum Thema vorgelegt. Na dann gute Nacht.
[Und noch einer:] 20 Prozent der Internetnutzer sind „zum Teil schwer Pädokriminelle“
[Nimmt ja kein Ende:] Diese Woche haben sich der Kinderschutzbund und u.a. die Zeit mit Umfragen zum Thema beschäftigt: Die Ergebnisse könnten unterschiedlicher kaum sein. OK, das die Debatte hitzig wird, war ja zu erwarten. Wer, so wie ich und andere für Löschung statt Sperrung kinderpornographischer Angebote ist, kann sich einer entsprechenden Petition anschließen. Immerhin haben die Befürworter der Sperren ihre Forderungen schon etwas angepasst, um der unkontrollierten Internetzensur etwas entgegenzusetzen.